Hintergründe

Der Geschmack von Schmerz

Historische Hintergründe zum Roman „Der Geschmack von Schmerz“ und wie alles begann...

Als mir Donatien-Alphonse-François Marquis de Sade zum ersten Mal begegnete, stand ich mitten in Paris. In Begleitung meines Mannes schlenderte ich an den unzähligen Bouquinisten vorüber. Es sind Künstler, manchmal wohl auch Lebenskünstler, welche ihre großen grünen Schrankläden an den Ufermauern der Seine haben und antiquarische Bücher, Bilder und vergilbte Postkarten verkaufen. Dort fand ich ein schmales, zerschlissenes Büchlein, welches meine Aufmerksamkeit erregte. Marquis de Sade stand in verwaschenen Lettern auf dem Buchdeckel. Meine Neugierde war geweckt! Als ich Wochen später durch Zufall die Kirche Saint-Sulpice besuchte und erfuhr, dass es sich hierbei um die Taufkirche des Marquis de Sade handelte, wusste ich, dass er es ist, über den ich in meinem nächsten Roman schreiben wollte.
Noch heute, über zweihundert Jahre nach seinem Tod am 2. Dezember 1814, ranken sich um den Marquis de Sade unzählige Mythen. Was wohl auch kein Wunder ist. Immerhin verbrachte Sade insgesamt 31 Jahre seines Lebens in Gefängnissen und Irrenanstalten. Zweimal wurde er in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Davon einmal wegen seiner sexuellen Exzesse in effigie, also symbolisch, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Den damals vorherrschenden gesellschaftlichen Normen wie auch den moralischen Konventionen entsprach Sade mit Sicherheit nicht.
Letztlich wurden sogar seine Aufsätze, Schriften und Bücher bis ins letzte Jahrhundert hinein zensiert und deren Besitz verboten. Ich aber war neugierig auf den Marquis, der bis heute in dem Wort Sadismus weiterlebt, und habe mich ihm über viele Monate hinweg vorsichtig genähert, was nicht immer leicht war.
Obwohl de Sade selbst Deutsch sprach, er Deutschland und sogar den Bodenseeraum bereist hatte, ist die Geschichte, also das Drama zwischen Isabeau Bersperger und dem Marquis de Sade, meiner Fantasie entsprungen.
Die Eckpunkte seines Lebens entsprechen aber, bis auf die Begebenheiten in der Krypta Saint-Sulpice, der Wahrheit. Sie haben sich in Paris, im Zeitalter des Ancien Régime, tatsächlich so ereignet. De Sade selbst wurde am 2. Juni 1740 in der Rue de Condé geboren. Das Adelsprädikat der Familie, welche weitläufig mit dem Haus Bourbon verwandt war, ermöglichte ihm von Anfang an ein privilegiertes Leben und eine hohe schulische Bildung. Er besuchte zunächst das renommierte Collège Louis-le-grand. Zur weiteren Erziehung überstellte ihn der Vater zu seinem Onkel, dem Abbé de Sade, in das Bergdörfchen Lacoste im Luberongebirge. Sade schrieb später, Schloss Saumane habe einem Bordell geglichen. Ich selbst habe das Schloss, besser gesagt, was davon noch übrig ist, aufgesucht und einen fast bilderbuchhaften Ort mit magischem Licht inmitten sanfter, grüner Hügel vorgefunden. Ein wahrer Traum. Trotz der traumhaften Kulisse bleibt nicht verborgen, wie sehr auch dort versucht wurde alle Erinnerungen an den Marquis de Sade auszulöschen. Schloss Saumane wurde einfach sich selbst überlassen und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Zahn der Zeit seine Spuren in dem weichen honigfarbenen Sandstein hinterlassen hat…
Nachdem Sade aus dem Siebenjährigen Krieg heimgekehrt war, wurde Inspektor Marais wirklich zu einer Art Nemesis für ihn. Er überwachte Sade mit einer Sittenpolizei, nachdem dieser von einer Prostituierten blasphemische Handlungen verlangt und sie mit einer Peitsche geschlagen hatte. Doch gerade in den Kreisen des dekadenten Hochadels wurden die Praktiken der Flagellation gern und oft verlangt. Selbstredend ausschließlich hinter vorgehaltener Hand. Offiziell durfte es nicht einmal das Château der Madame Gourdan geben, obwohl ihre Bordelle in Paris ganze Straßenzüge einnahmen und ihre Dildos reißenden Absatz fanden.
Während der Lektüre von Die 120 Tage von Sodom und Sades anderen Werken ist man vielleicht versucht, in dem Marquis einen Unmenschen zu sehen. Aber gerade hier muss wohl jeder selbst zu seiner eigenen Wahrheit finden. Dennoch ist es sehr wahrscheinlich, dass Sade letztlich vor allem deshalb in den Fokus der Gendarmes de la garde und Inspektor Marais kam, weil er sich öffentlich zu seinem leidenschaftlichen Atheismus bekannte und all jene für Dummköpfe erklärte, die an die Existenz Gottes glaubten. Im streng katholischen Frankreich genügte allein schon dieses Bekenntnis zur Verbüßung einer längeren Haft oder gar zur Vollstreckung der Todesstrafe. Dass er sich darüber hinaus in der Öffentlichkeit zu seinen sexuellen Vorlieben bekannte, machte ihn nicht unbedingt bequemer. Ein paar geheimnisvolle Mordfälle, welche in einer Stadt wie Paris damals sicher keine Seltenheit darstellten, beflügelten die Fantasie der Menschen zusätzlich. So entspricht es tatsächlich der Wahrheit, dass die Presse in Sade zeitweilig einen Werwolf sehen wollte. Auch das Zelebrieren schwarzer Messen wurde ihm vorgeworfen, bei denen er angeblich sogar das Blut seiner Opfer trank. Weil der vorliegende Roman lediglich etwas mehr als ein Jahr umfasst, habe ich mir erlaubt, die Begebenheiten in Sades Leben ein wenig zu straffen und in ihrer Chronologie zu verändern.
Was die Begebenheiten in Lindau angehen, so habe ich mich an die damaligen Vorgehensweisen des Schiffbaus gehalten. Lastenschiffe, also vor allem Lädinen und Segmer wurden am häufigsten aus Eiche gebaut und verfügten über ein einzelnes Rahsegel. Diese langsamen, schwerfälligen und wenig wendefreudigen Schiffe, welche einzig vor dem Wind segeln konnten, wurden über die gesamte Zeit des Lastverkehrs auf dem Bodensee eingesetzt. Die Gemeinde Immenstaad am Bodensee unterhält den Nachbau einer Lädine.
Auch die Schiffsbaugesellschaft Sietas gab es zu Isabeaus Zeiten bereits. Pella Sietas wurde 1635 in Hamburg gegründet.
Zum Klabautermann bleibt zu sagen, dass wohl alle Seefahrer mehr oder weniger an den Schiffskobold geglaubt haben und es vielleicht noch heute tun. Er ist im Bereich des seemännischen Aberglaubens festzumachen. Mit roten Haaren und grünen Zähnen hatte er sicherlich alle Möglichkeiten, die Bestatzung das Fürchten zu lehren. Außerdem waren die Seeleute fest davon überzeugt, Frauen würden Unheil über ein Schiff und seine Besatzung bringen, was ziemlich sicher ein hässliches Überbleibsel aus sehr weit zurückliegenden Zeiten ist.
Nahezu alle Örtlichkeiten in Lindau, sei es nun das Haus zum Sünfzen, die Schiffswerfte, die Fischergasse, die Cramergasse und all die anderen Gassen und Gässchen, welche sich über die kleine Insel im Bodensee erstrecken, habe ich so beschrieben, wie sie Isabeau im Lindau des 18. Jahrhundert gesehen hätte. Vieles davon kann der interessierte Besucher noch heute dort auf der Insel, bei einem Spaziergang entdecken. Letztlich war es mir wieder ein ausgesprochenes Vergnügen, die Tatsachen der Geschichte mit den Fäden der Fantasie zu verweben und diesen Roman zu schreiben.

Das Herz der Alraune

An dieser Stelle möchte ich Ihnen ein paar historische Hintergründe zum Roman „Das Herz der Alraune“ verraten …

Sehr wahrscheinlich war es der Schmelztiegel der arabischen Gelehrtenschulen, der geistigen Antike und der Ordensklöster, welcher im kleinen Montpellier eine sehr besondere Medizinschule erblühen ließ. Zumindest galt die kleine Lehranstalt im 15. Jahrhundert als strahlender Stern am Himmel der medizinischen Wissenschaften. Obwohl die Römische Kurie das Öffnen des menschlichen Leibes zu Lehrzwecken noch immer mit der Strafe der Exkommunikation belegte, durfte die kleine Universität auf eine Ausnahme hoffen. Hatte sie doch in dem Bischof von Tours einen weltoffenen und glühenden Fürsprecher gefunden. Er gestand der Hochschule mehrmals im Jahr den Leichnam eines Hingerichteten zu und schwieg über das weitere Vorgehen.
Die Ärztin Trotula di Ruggiero lebte im 11. Jahrhundert im italienischen Salerno. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Johannes Platearius, der ebenfalls Arzt war, widmete sie ihr Leben der Wissenschaft und der Medizin. Stets war Trota ihrer Zeit weit voraus, was ihre beiden Lehrbücher, ›Passionibus Mulierum Curandorum‹ (›Trotula major‹) und ›Ornatu Mulierum‹ (›Trotula minor‹), beweisen. In ihnen hielt sie ihr Wissen für die Nachwelt fest. Trota betonte in ihren Schriften u.a. die außerordentliche Wichtigkeit von Hygiene und gesunder Ernährung sowie die Auswirkungen von Stress auf den menschlichen Körper. Ihre Erkenntnisse wurden in sämtlichen medizinischen Fakultäten Europas bis weit ins 16. Jahrhundert hinein als Standard der Gynäkologie und Geburtshilfe gelehrt.
Die erste erfolgreiche Schnittentbindung gelang schließlich Jacob Nufer um das Jahr 1500. Der Tierkastrator lebte im Kanton Thurgau in der Schweiz. Sicher verfügte Nufer schon durch seinen Beruf über anatomische Grundkenntnisse. Nachdem seine Frau über mehrere Tage nicht gebären konnte, rettete er ihr Leben und das seines Kindes durch diese gewagte Operation. Mehr noch, Quellen weisen darauf hin, dass Elisabeth Alespach noch weitere Kinder gebar.
Nachdem Papst Clemens V. im Jahr 1312 den Orden der Tempelritter für erloschen erklärt hatte, benannte er den Ritterlichen Orden Sankt Johannis vom Spital zu Jerusalem als deren Erben. Das Kirchenoberhaupt übertrug den Johannitern sämtliche Güter, Fahr- Handels- und Hafenrechte. Zur Ausweitung der Herrschaft berief der ritterliche Orden allzeit weltliche Personen mit großem Einfluss in ihre Mitte. Diese „Confratres“, lenkten zahlreiche Geschicke des Ordens und dienten ihm in den unterschiedlichsten Bereichen.
Wie im Roman beheimatete Überlingen von 1257 bis 1805 tatsächlich eine Johanniterkommende. Die Überreste sind heute noch erkennbar. Von 1472 bis 1500 ist Rudolf von Baden als Komtur des Johanniterordens in Überlingen verzeichnet. Überliefert ist auch, dass der Dominikaner Heinrich Kramer, der als Inquisitor von ganz Oberdeutschland fungierte, Rudolf von Baden in einem Schreiben bat, er möge ihn bei der Hexenverfolgung unterstützen. Dieser Brief liegt noch heute im Gesamtarchiv Waldburg-Zeil. Laut Kramer hatte der Komtur bereits viele „Hexgen“ verbrannt, weil er die Frauen “durch guote selige Wort“ zu einem Geständnis bewegte. Und schließlich hat Heinrich Kramer selbst mit dem Verfassen des ›Malleus Maleficarum‹, des ›Hexenhammers‹, der Ausdehnung des Hexenglaubens und der Verfolgung und Vernichtung der „Hexgen“ Vorschub geleistet. Der Traktat wurde 1486 zum ersten Mal in Speyer gedruckt und war mit 28 Auflagen bis ins Jahr 1669 zweifellos ein Bestseller der Neuzeit.
Um in den Verdacht der Hexerei zu geraten, bedurfte es damals nicht viel. Dennoch vermutete Kramer den Pakt mit dem Teufel weitaus häufiger beim weiblichen Geschlecht. Frauen, welche den Beruf der Hebamme, der Kräuterfrau oder der Ärztin ausübten, verdächtigte Kramer in besonderem Maße. Dies ist sicher auch der Grund, weshalb er ihnen im ›Malleus Maleficarum‹ zahlreiche Seiten widmete.
Letztlich war es mir ein überaus großes Vergnügen, all diese unterschiedlichen Begebenheiten miteinander zu verflechten und ihnen neuen Atem einzuhauchen. Die Bühne der Geschichte bereitete Luzias und Johannes’ Liebe einen wunderbaren Hintergrund. Freilich sind ihr abenteuerliches Leben sowie die Ränkeschmiede des Stadtrats Allgaier und seiner Tochter Ottilia vollkommen meiner Fantasie entsprungen.

Seelenfeuer

Dass die Hexen die schwersten Strafen verdienen, mehr als alle Verbrecher der Welt- (Hexenhammer I,14)

Wenn wir heute auf das Wort “Hexe“ stoßen, steigen wir hinab in das bunte Reich der Märchen und Sagen. Erzählungen, wie die der Gebrüder Grimm, kommen uns in den Sinn. Vielleicht denken wir auch an die Fastnacht, die bei uns in Süddeutschland “Fasnet“ heißt und mit ihren bunten “Häßern“ und schaurigen Masken schon dem einen oder anderen Umzugsbesucher das Fürchten lehrte.

Ein Feindbild, welches dem damaligen Hexenbild entsprach, ist für uns heute nicht im Entferntesten mehr vorstellbar. Dennoch spielte sich die Hexenverfolgung, als eine der dunkelsten Zeiten der Geschichte, direkt vor unserer Haustüre ab. Jeder konnte eine Hexe sein. Die Nachbarin, die ihrem Gegenüber immer einen Augenblick zu lange in die Augen sah, oder jene, die beim abendlichen Milchholen immer den Stall betrat. Menschen, deren Äußeres sich von der breiten Masse abhob. Etwas rotes Haar, intensive Augenfarben oder gar verschiedenfarbige Iriden zeugten davon, dass man es mit einer Hexe zu tun hatte. Ein zurückgezogenes Leben, ebenso wie Kenntnisse und Wissen in der Heilpflanzenkunde galten als ebenso hochverdächtig, wie die Zugehörigkeit eines bestimmten Berufsstandes. Hebammen und Heilerinnen wurden immer zuerst verdächtigt. Ihnen sagte man eine Macht nach, vor der sich besonders die hohen Kirchenmänner fürchteten. Diese Frauen wussten Schwangerschaften zu verhindern oder sie gegebenenfalls zu unterbrechen. Sie besaßen Kräuter, Heilpflanzen und Amulette, mit deren Hilfe sie den Schmerz unter der Geburt lindern konnten. In der Fantasie der Menschen wurden daraus schnell Zaubertränke gegen die sich der Behexte nicht wehren konnte oder im schlimmsten Fall Beschwörungen, die dem Opfer Krankheit, Siechtum und Tod brachten.

Der Begriff “Hexe“ kommt eigentlich von Hagazussa, das Weib im Hag oder die Frau in der Hecke. Hag = Hecke. Die Zaunreiterin. Vor der Christianisierung wurde sie als weise Frau verehrt. Sie war die Mittlerin zwischen den Welten. Sie unterhielt Verbindungen zu allem, was „lebte“. Sie kannte Pflanzen, Tiere und Mineralien, die mit Umsicht eingesetzt, die Menschen von ihren Leiden befreiten oder diese zumindest verringerten. Ihre Religion waren Feuer, Wasser, Luft und Erde - die vier Elemente, mit denen sie sprach und die sie verehrte. Ihre Gebete richtet sie an die die “große Mutter“. Die Urmutter, die neben dem Anfang der Zeit, auch der Anfang allen Lebens war.

Wie es nun zu den ersten Hexenprozessen kam, ist bis heute nicht völlig geklärt. Gesichert ist jedoch, dass dem Bodenseeraum in den 1480er Jahren bei der Entstehung von Hexenwahn und Hexenverfolgung in Europa eine wichtige Rolle zukam. Der Beginn der grausamen Hatz im 15. Jahrhundert fiel mit dem Beginn der sogenannten “Kleinen Eiszeit“ zusammen. Eine ganz ähnliche Klimaverschiebung, wie wir sie momentan erleben. Damals wurde es allerdings stetig kälter. Die Chronik belegt, dass der Bodensee im 15.- und 16. Jahrhundert sehr häufig zugefroren war. (Ganze vierzehn Mal!) Heute geht man davon aus, dass sich dieses Ereignis im Höchstfall alle 100 Jahre wiederholt. Massive Stürme, Hagelunwetter und sintflutartiger Regen begleiteten die Kälteperiode. In dieser Zeit kam es zu unvorstellbaren Ernteausfällen und Anfang der 1480er Jahre, soll es daraufhin gerade in Oberdeutschland zu abnormen Preissteigerungen gekommen sein. Was der Frost nicht zerstörte, fiel dem Hagel zum Opfer. Hunger und Pestepidemien schwächten und dezimierten die Bevölkerung weiter. Der Unfruchtbarkeit der Umwelt folgte die von Mensch und Tier. Die Welt war aus den Fugen geraten und die Menschen suchten nach Erklärungen. Da es diese verständlicherweise nicht gab, vermuteten sie hinter alldem schnell etwas Unnatürliches. Auf der Suche nach Verantwortlichen stießen sie unweigerlich auf das Böse. Auf den Teufel und auf die Hölle, die für die Menschen des ausgehenden Mittelalters zur Tagesordnung gehörten, wie es für uns im 21. Jahrhundert die Nachrichten oder die Wettervorhersagen sind. Besonders die Kirche setzte alles daran unter der Bevölkerung die Angst vor der Hölle wachzuhalten. Die Angst vor der ewigen Verdammnis machte die Menschen von damals gefügig. (Hier spricht der Ablasshandel Bände!) Wer wollte schon bis in alle Ewigkeit brennen, während auf der anderen Seite das ewige Leben versprochen wurde?

Die Idee, Ravensburg und den Bodenseeraum für die Hexenjagd auszuwählen, lag auf der Hand. Nachweislich ging dort tatsächlich ein zerstörerisches Hagelunwetter nieder, das die Ernte komplett vernichtete. Daraufhin wurden bald erste Stimmen laut, die behaupteten, das ganze Unglück müsse durch einen Schadenszauber oder einen Wetterzauber entstanden sein. 1484 kam der päpstliche Inquisitor Heinrich Kramer (lat. Institoris) auf Bitten des Kaplans und des Stadtrates, tatsächlich selbst nach Ravensburg, wo er Hexenprozesse leitete und durchführte. Nachweislich wurden zwei Frauen verbrannt, weil sie unter der Folter gestanden, einen Pakt mit dem Teufel zu unterhalten.

Seine Erfahrungen in Ravensburg und anderen Wirkungsstätten hielt Heinrich Kramer im Hexenhammer (lat. Malleus Maleficarum) fest. Seitenweise verfasste er eine Anleitung zum Aufspüren, Überführen, Verurteilen und Hinrichten von Hexen. Viele seiner Fantasien sind sexueller Natur, so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sein Hauptaugenmerk auf den Frauen lag. In seinen Augen waren Frauen weitaus gefährdeter den Versuchungen des Teufels zu erliegen, da sie von Natur aus schwach und wankelmütig waren. Bedeutende Historiker, die sich intensiv mit der Erforschung der Hexenverfolgung befassen, gehen davon aus, dass gerade Heinrich Kramer mit der Veröffentlichung seines Malleus Maleficarum, den „Nerv der Zeit“ getroffen hatte. Der Hexenhammer, der zu den unheilvollsten Büchern der Weltliteratur gezählt wird, war mit beinahe 30 Auflagen über Jahrhunderte hinweg ein schrecklicher “Bestseller“.

Im Hexenhammer, den Heinrich Kramer ab ca. 1487 mithilfe des Buchdrucks verbreitete, wird Ravensburg mehrfach erwähnt. Auf vielen Seiten zitiert der Dominikaner dort Philosophen und Kirchengelehrte, wie Thomas von Aquin und Augustinus. Oft beruft er sich auch auf die Bibel. Das Übrige zeugt von äußerst gefährlichen Fantasien und tiefgreifenden Ängsten. Unter anderem kommt hier das Wettermachen, der Milchdiebstahl, der Pakt mit dem Teufel, die Verwandlung in Tiergestalten, die Opferung von Menschen und die Herstellung von Hexensalben zur Sprache.

In vielen Kapiteln unterweist der Inquisitor die Hexenrichter, indem er ausführlich beschreibt, wie man eine Hexe erkennt und wie man ihr mithilfe grausamster Foltermethoden ein Geständnis abringt. Etliche Kapitel (Teil I des Buches fünf von 18, in Teil II sieben von 24) widmet er dem Geschlechtsverkehr zwischen Mensch und Dämon. Weiter berichtet er von Impotenz- und Unfruchtbarkeitszauber, mit deren Hilfe die Hexe ihre Mitmenschen schädigte.

Gerade im Allgäu, im Bodenseeraum und in Oberschwaben kam es während Kramers Lebenszeit (ca. 1430- 1505) zu regelrechten Verfolgungswellen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Scharfrichter noch lange Zeit aus der Region Bodensee-Oberschwaben kamen. Die letzte Frau, im deutschsprachigen Raum, wurde erst 1782 unter dem Tatbestand der Hexerei, im Kanton St. Gallen hingerichtet!

Wenn Heinrich Kramer in der Frau schon das leichtgläubige, verdorbene und von Natur aus minderwertige Wesen sah, gab es in seinen Augen noch eine Steigerung - und das war die Hebamme. Ihr oblag es das Kind zu berühren, bevor es durch das Sakrament der Taufe vor dem Zugriff des Teufels geschützt werden konnte. Im Hexenhammer widmet er den Wehmüttern, wie sie damals auch genannt wurden, einige Extrakapitel. Dies ist auch der Grund, weshalb ich für meine Hauptfigur, Luzia Gassner, den Beruf der Hebamme gewählt habe.



Der Bodensee um 1540



Die Schauplätze sind zum Teil noch ganz ähnlich, wie sie bereits im 15. Jahrhundert waren. So findet der Interessierte, der auf Luzias Spuren unterwegs ist, noch heute viele der Straßen, Gassen und Plätze, aus dem Roman. Noch immer lässt sich in Seefelden bei Niedrigwasser, die Landzunge begehen, ebenso die kleine Kirche St. Martin. Die Pfarrei zählt übrigens, wie die Kirchen auf der Klosterinsel Reichenau, zu den Ältesten des gesamten Bodenseegebiets. Besuchern ist es in den Sommermonaten möglich durch den Kräutergarten des Walahfrid Strabo zu schlendern. Die beeindruckenden historischen Altstädte von Ravensburg, Überlingen, Meersburg und Konstanz laden jeden Besucher zu einer Zeitreise ins Mittelalter ein. Die recht übersichtlich gestaltete historische Karte zeigt den Bereich Bodensee- Oberschwaben in der beginnenden Neuzeit. Älteres Kartenmaterial ist oft sehr verwirrend und unübersichtlich.